Kommentar: 100 Jahre Frauenwahlrecht

Vergangene Woche erinnerte der Deutsche Bundestag in einer Feierstunde an 100 Jahre Frauenwahlrecht – und an die Etappensiege deutscher Frauenrechtsbewegung. Aber nicht nur im Hinblick auf den Frauenanteil im Parlament bleibt viel zu tun. 

„Ich möchte hier feststellen, daß wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ (Marie Juchacz, 1919)

Als die Sozialdemokratin Marie Juchacz im Februar 1919 als erste gewählte Frau eine Rede in einem deutschen Parlament hielt, war dies ein Meilenstein für die Frauenrechte in Deutschland. Sie und 36 weitere Frauen zogen, neben ihren 384 männlichen Kollegen, in die Weimarer Nationalversammlung ein. Wie sensationell diese Entwicklung zum damaligen Zeitpunkt war, ist aus unserer heutigen Sicht des 21. Jahrhunderts nur schwer vorstellbar. Es war Frauen bis 1908 verboten, in Parteien einzutreten oder an politischen Veranstaltungen teilzunehmen. Zudem war die SPD die einzige Partei, welche offensiv die Einführung eines Frauenwahlrechts forderte.

 

Zeit für das Paritätsgesetz

Auch im Jahr 2019 bleibt gesellschaftlich und politisch viel zu tun. Die „metoo“-Debatte, die unterschiedliche Bezahlung von Mann und Frau, die Diskussion um Paragraph 219a, das Ehegattensplitting, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Nach wie vor besteht auf vielen Gebieten Handlungsbedarf. Und dann gibt es natürlich noch die Königinnendisziplin: Die allseits beliebte Frauenquote. Als Marie Juchacz und ihre Kolleginnen 1919 ins Parlament einzogen, lag der Frauenanteil bei knapp 9 Prozent. Im jetzigen Bundestag, immerhin 100 Jahre später, liegt er bei knapp 31 %. Machen wir in dieser Geschwindigkeit weiter, sollten wir etwa im Jahr 2100 Parität erreichen. In den Vorständen börsennotierter deutscher Unternehmen sieht es noch weitaus düsterer aus: Gerade einmal knapp 8 Prozent der Posten belegen Frauen. Um die Gleichstellung zumindest im Bundestag voranzutreiben, fordern nicht nur SPD-Abgeordnete ein Paritätsgesetz, welches Parteien verpflichtet, ihre Kandidat*innen quotiert aufzustellen. Die SPD, Grüne und LINKE machen dies bereits seit Jahren.

 

Enttäuschung und Hoffnung in der GroKo

Zuletzt sorgte die Entscheidung den umstrittenen Paragraphen 219a nicht zu streichen für Enttäuschung bei Frauenrechtler*innen. Paragraph 219a Strafgesetzbuch verbietet es Frauenärzt*innen darüber zu informieren, ob sie Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich vornehmen. Schwangere sind also stets auf die Auskunft der Pflichtberatung angewiesen und können sich nicht etwa vorab im Internet informieren. Schlimmer noch: Die einzigen Informationen, die schwangere im Internet erhalten, sind solche der fundamentalistischen Abtreibungsgegner. Diese setzen Schwangerschaftsabbrüche mit dem Holocaust gleich, wollen mit „Schockbildern“ vor Abbrüchen abschrecken und führen Gynäkolg*innen auf schwarze Listen. Das Gesetz des 219a, ein Überbleibsel aus der NS-Zeit, stellt derweil einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frau dar. Damals wie heute wird der Frau keine eigenständige Entscheidung zugetraut.

Immerhin: Der Paragraph wurde präzisiert und soll in Zukunft zumindest eine Informationsmöglichkeit für Frauen und Rechtssicherheit für Ärzt*innen erlauben. Und auch im Bereich des schon erwähnten Paritätsgesetzes kommt Bewegung in die Sache: Wenn sogar Annegret Kramp-Karrenbauer und Ursula von der Leyen das Paritätsgesetz als „interessanten Vorschlag“ bezeichnen, muss sich doch einiges verbessert haben in den letzten Jahren.

Die SPD, auch wenn sie mitunter unrühmliche Entscheidungen getroffen hat, stand frauenpolitisch meist auf der richtigen Seite der Geschichte. Die CDU hingegen, stellt im Jahr 2018 mit Friedrich Merz ganz süffisant einen Kandidaten zum Vorsitz auf, der etwa 20 Jahre zuvor im Bundestag noch gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe gestimmt hat, ohne es für nötig zu halten, diesen Standpunkt zu revidieren oder klarzustellen.

Marie Juchacz gründete 1919 die Arbeiterwohlfahrt und war bis zum Verbot der AWO durch die Nazis im Jahr 1933 ihre Vorsitzende. Sie floh nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ins Exil und kümmerte sich von New York aus um Opfer und Flüchtlinge des NS-Regimes. 1949 kehrte sie nach Deutschland zurück und starb 1956 in Düsseldorf. Würde man sie heute fragen, sie wäre wahrscheinlich froh über das Erreichte, aber noch lange nicht zufrieden.

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